© Port au Prince, Senator Film, Schwarzweiss Film, Wild Bunch, Foto Peter Hartwig
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Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner Port au Prince, Senator Film, Schwarzweiss Film, Wild Bunch, Foto Peter Hartwig

"Weil es so hart ist, muss man lachen" | Matthias Glasner im Interview über "Sterben"

Der Regisseur erzählt teils autobiografisch von seinem Leben - und blickt auf die komplizierte Beziehung zu seinen Eltern

28.04.2024 Ron Stoklas

Bei der diesjährigen Berlinale feierte der Film Sterben nicht nur Weltpremiere, sondern wurde auch mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Genauer dem Silbernen Bären für das Beste Drehbuch. Ein emotionaler und persönlicher Preis für Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner. Der Film ist in teilen autobiografisch geprägt, erzählt Geschichten aus seinem Leben.

Jetzt, knapp zwei Monate später, startet der Film in den deutschen Kinos (VÖ: 25. April 2024). Kurz nach dem Kinostart darf sich der Film Hoffnungen auf mehrere Preise beim Deutschen Filmpreis machen. Mit neun Nominierungen (u.a. Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch) geht das Drama bei der Preisverleihung (Verleihung am 3. Mai 2024) ins Rennen.

FluxFM-Redakteur Ron Stoklas hat sich mit Filmschöpfer Matthias Glasner über die Arbeit am Film, die persönliche Note der Geschichte und den prominenten Cast (u.a. Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Lars Eidinger, Robert Gwisdek) unterhalten.

Matthias Glasner: "Ein Lachen, das aus dem Verstehen kommt"

FluxFM: Du hast in "Sterben" Erfahrungen aus deinem Leben einfließen lassen. Entsprechend wurde der Film als Aufarbeitung dieser Erlebnisse bezeichnet. Kannst du erklären, wie das gemeint ist?

Matthias Glasner: Aufarbeiten ist der falsche Begriff. Ich wollte nichts aufarbeiten. Ich wollte davon erzählen. Es sind Dinge, die ein bisschen zurückliegen. Ich habe seit sechs, sieben Jahren Kinder und habe eine neue Familie. Ich trenne mein Leben zwischen meinem neuen Leben, was ein schönes Leben ist, und meinem alten Leben, was nicht so schön war. Aber ich kann jetzt mit der Perspektive, der Gelassenheit eines etwas glücklicheren Menschen auf dieses andere Leben gucken. Und das ist wichtig. Ich erzähle aus einer Distanz. Ich bin nicht mittendrin. Wäre ich mittendrin, wäre der Film self-indulgence, sagt man. Aber das ist er nicht, sondern ich gucke mit einer gewissen Leichtigkeit darauf. Aber ich erzähle davon, weil ich gemerkt habe, wenn ich im privaten Kreis von meinem Leben erzähle, von meinen Eltern, dann wird viel gelacht. Man öffnet sein Herz und erzählen auch davon. Viel mehr, als wenn wir jetzt über den Ukraine-Krieg, Gaza oder Trump in Amerika sprechen. Dann sind wir alle so verhärtend, weil es Secondhand Informationen sind, die wir haben. Wir wissen nicht genau, was wir machen sollen. Aber das persönliche öffnet einen. Allen haben etwas dazu zu sagen. Und dann war der Film ein Experiment. Kann ein Film, den ich aus so persönlichen Sachen heraus erzähle, genau deshalb so universell sein?

FluxFM: Das Ergebnis ist ein dreistündiger Film über eine disfunktionale Familie. Ich fand beim Sehen, dass sich der Film trägt. Es ist ein Film der abholt, der viele Wendungen nimmt und an manchen Stellen bitterböse und witzig ist, obwohl er es aufgrund der ersten Themen nicht sein sollte. Wie bekommt man es hin, dass eine Geschichte tief traurig und tragisch ist, die Leute aber trotzdem lachen?

Matthias Glasner: Das ist auch aus der Erfahrung entstanden, wenn ich von diesen Dingen erzähle, von meinen Eltern, die wirklich grotesk und furchtbar sind, dass man irgendwie lachen muss. Und in dieser Härte steckt ein seltsamer Humor. Den wollte ich einfangen. Es war nie das Ziel zu sagen, ich muss, weil die Szenen so hart sind, noch eine lustige Szene machen. Sondern es war immer das Ziel, weil es so hart ist, muss ich lachen. Und ich bin sehr glücklich über dieses Lachen. Es ist ein Lachen der Empathie. Ein Lachen der Nähe. Ein Lachen des sich Öffnens, des Verstehens. Es ist kein Auslachen. Kein über einen Witz lachen. Es ist ein Lachen, das aus dem Verstehen kommt. Und das finde ich sehr schön.

Matthias Glasner über den Dreh: "Musste öfter mal weinen"

FluxFM: Ob dieser Reaktion funktioniert, hängt auch immer am Cast. Für "Sterben" hast du einen echten deutschen Allstar-Cast zusammengebracht. Wie schnell waren die einzelnen Leute an Bord?

Matthias Glasner: Das war ehrlich gesagt gar nicht so schwer, weil es recht saftige Rollen sind. Ich schreibe gern so, dass ich weiß, dass es Spaß macht die Rollen zu spielen. Das es auch eine Herausforderung ist sie zu spielen. Die große Tischszene zum Beispiel sind 20 Seiten im Drehbuch. Da denkst du als Schauspieler einerseits "Wow, wie kriege ich das hin?" und andererseits "Wann habe ich mal die Gelegenheit so etwas zu machen?". Ich lasse gern Schauspieler leuchten. Ich habe auch nichts gegen Rampensäue. Ich mag das. Ich liebe Schauspieler, wenn sie over the Top sind. Zum Beispiel Lilith Stangenberg und Ronald Zehrfeld in der Zahnarztszene. Das sind Szenen, die ich im Kino liebe, weil sie over the Top sind. Weil sie nicht so brav, nicht so realistisch sind. Sondern, weil sie sinnlich sind. Und diese Sinnlichkeit von Schauspielern mag ich. Ich mag ansonsten Schauspieler, die eine große Intelligenz mitbringen und große emotionale Tiefe. Das brauche ich, weil meine Figuren haben das auch. Das kann man nicht spielen. Wenn man das nicht hat, dann kann man das nicht. Es war für den Film wichtig, dass es alles Schauspieler sind, die als Menschen eine große emotionale menschliche Tiefe haben. Und das transportiert sind von selber, weil es ist einfach da. Corinna Harfouch kann das zum Beispiel nicht verleugnen, was für ein weiser, kluger, besonderer Mensch sie ist. Das gilt für alle Figuren in dem Film.

FluxFM: Und wie war das am Set? Es sind auch Szenen aus deinem Leben, die du in abgewandelter, teils sehr naher Form weitergibst. Wie emotional ist es, die Geschichte dann selbst auf der Kinoleinwand zu sehen?

Matthias Glasner: Es gibt Szenen, die sind sehr autobiografisch. Es gibt Szenen, die sind dann doch erfunden. Weil, wenn ich persönlich rangehen, dann lasse ich auch meine Kreativität, meine Träume, meine Ängste einfließen. Es gibt eine Szene mit meinem Vater, die habe ich auch auf dem Filmplakat und im Titel so hingeschrieben. Ich dachte immer toll, wie Hans-Uwe Bauer meinen Vater spiel. Da stand dann immer als Gerd Lunies. Und ich dachte "Das stimmt irgendwie nicht. Das ist nicht Gerd Lunies. Das ist mein Vater!" Und habe es dann einfach hingeschrieben. Und diese Szenen zu drehen, in dem Heim, wo mein Vater wirklich gestorben ist, genau dort, auch wo meinen Eltern gewohnt haben, da gab es schon eine autobiografische Nähe, die manchmal schwer war auszuhalten. Wo ich, ehrlich gesagt, öfter mal weinen musste und auch rausgehen musste. Aber gleichzeitig habe ich mich auch gefreut für meinen Vater, meine Eltern, dass sie dadurch irgendwie auch bewahrt werden, dass sie natürlich auch irgendwie aufgehoben sind in diesem Film und nicht vergangen sind. Deswegen ist es eigentlich eher eine Freude, weil diese Schauspieler sie zum Leben erweckt haben in gewisser Weise. Es war nicht immer ganz einfach.

Das Interview mit Matthias Glasner wurde bereits im Rahmen der diesjährigen Berlinale im Februar 2024 aufgezeichnet. Nachdem im Rahmen der Filmfestspiele nur Auszüge verwendet werden konnte, wurde das Gespräch erstmals am 27. April 2024 in voller Länge im FluxFM-Programm ausgestrahlt.