Es geht ja doch! | Way Out West Festival 2025
Vieles, was auf deutschen Festivals unmöglich scheint, wird im Westen Schwedens einfach gemacht
14.08.2025 Micha Gehrig
Der Slottsskogen (zu deutsch: Schlosswald) liegt Mitten in Schwedens zweitgrößter Stadt, Göteborg. Einmal im Jahr wird der malerische Wald, der in einigen Teilen eher einem Park ähnelt, zu einem der skandinavischen Musik-Hotspots. Knapp 70.000 Menschen haben sich bei der diesjährigen Ausgabe des Way Out West Festivals dort versammelt, um zu großen Popstars wie Charli XCX oder Chappell Roan zu tanzen, alten Held*innen wie Iggy Pop oder Mavis Staples zu lauschen oder musikalische Neuentdeckungen zu machen. Die FluxFM Musikredaktion war das erste Mal im Westen Schwedens und nicht nur wegen des musikalischen Programms hellauf begeistert.
Natürlich stand das aber im Vordergrund und schon Tag 1 zeigte, dass das hier etwas ganz besonderes werden wird. Die Britin Nilüfer Yanya verlor wenig Worte, spielte sich mit ihren Songs aber direkt in die Herzen der zu so früher Stunde schon sehr zahlreichen Besucher*innen. Das sollte sich übrigens durchziehen. Festival-Auftritte um 14 Uhr vor 30 Menschen? Nicht beim Way Out West, wo ein vermeintlich sehr skandinavisches Publikum zwar hier und da etwas reserviert vor der Bühne stand, immer wieder aber zeigte, dass man durchaus aus sich raus gehen kann. Und vor allem, dass man hier alle artists gleichermaßen schätzt und im besten Fall so viele Acts wie möglich sehen möchte.
Dazu gab es zum Auftakt die unfassbar vitalen Mavis Staples (86!) und Iggy Pop (78!), sphährisches aus dem Solo-Werk von Beth Gibbons (Portishead), Abriss auf kleiner Bühne mit Moonchild Sanelly und darüberhinaus mit Kneecap auch noch den Auftritt der aktuell skandalumwittersten Band Europas, zu der es auch in Schweden im Vorfeld große Diskussionen gab.
Tag 2 legte nochmal einiges drauf. Obongjayar (der an diesem Tag auch noch bei zwei anderen Auftritten als Feature-Gast vorbeischaute) stimmte die Leute auf den Abend ein, Kelly Lee Owens verlegte den nächtlichen Abriss mit ihrem Live-Set dann direkt auf den späten Nachmittag und Little Simz bot wohl eine der besten Shows auf diesem Festival, freundliche Mosh-Pits mit Dance Offs inklusive.
So langsam sickerte auch ein, wo man hier eigentlich war. Mitten in der Stadt, das Hotel fußläufig (das Way Out West kommt ohne Camping aus), in einem wunderschönen Park, der von unzähligen Freiwilligen bis zum letzten Tag sauber gehalten wurde. Für den Head of Marketing des Festivals, Filip Hiltmann, ist der Ort des Festivals nicht nur wegen seiner Schönheit so passend, sondern auch aus Nachhaltigkeitsaspekten.
Filip Hiltmann (Head of Marketing)
Nachhaltigkeit ist sowieso eines der Großen Themen des Way Out West. Parallel zum Festival gab es eine Klimakonferenz, auf der an den Festivals und Großveranstaltungen der Zukunft geschraubt wurde. Und auch auf dem Festivalgelände war überall spürbar, dass man es hier ernst meint mit diesem Thema.
Am prominentesten ist hier wohl die Entscheidung zu erwähnen, die das Festival schon 2012 getroffen hat - kein Fleisch auf dem Festivalgelände! Das reichhaltige Essensangebot ließ trotzdem keine Wünsche übrig. Diskussionen über das rein vegetarisch/vegane Festival gab und gibt es trotzdem immer wieder, auch im progressiven Schweden. In einem der Vorjahre verteilte eine schwedische Zeitung aus Protest sogar Fleisch vor den Eingängen zum Gelände.
Filip Hiltmann (Head of Marketing)
Nicht unterschlagen werden soll, dass Tag 2 dann am Ende natürlich noch einen krönenden Abschluss für viele Besucher*innen in grünen Outfits fand - Superstar Charli XCX auf der Mainstage. Ein eher jüngeres Publikum zeigte dort gute Haltungsnoten beim Mitfilmen während das ältere Publikum sich Richtung Americana-Shootingstar MJ Lenderman aufmachte. Trotzdem muss gesagt werden, dass über alle Tage verteilt wirklich jedes Konzert mit einem diversen Publikum gesegnet war, auch alterstechnisch.
Also rein in Tag 3, der erneut keine Schwächen zeigte. Eine entspannte Greentea Peng, die ihr neues Album Tell Dem It's Sunny bei bestem Sommerwetter präsentierte, gefolgt vom Auftritt der südafrikanischen Acapella-Band The Joy, die ihr Publikum nach 3 Tönen schon komplett verzaubert hatte und schließlich die US-Rapperin Noname, die aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus kam angesichts der unfassbar riesigen Crowd, vor der sie spielte. Lola Young kämpfte indess zwar mit leichtem Husten und omnipräsenten Wespen auf der Bühne, zeigte aber klar auf, woher der Hype um ihre Person kommt. Und am Ende gab es wieder den riesen Anlauf vor der Main Stage. Grund dieses Mal: Chappell Roan, die nicht nur dank imposantem Bühnenbild überzeugte.
Die angesprochenen Namen sind natürlich nur ein Bruchteil des ausgiebigen Lineups, aber sie zeigen gut auf, dass auch hier das Way Out West andere Wege geht als zum Beispiel die meisten deutschen Festivals. Man hat sich der Keychange-Initiative verpflichtet, achtet also auf ein gender-balanded Lineup. 50-50 auf allen Bühnen. Und das schon länger, als es die Initiative überhaupt gibt.
Filip Hiltmann (Head of Marketing)
Am Ende macht sich dieses ausbalancierte Lineup nicht nur auf den Bühnen bemerkbar, sondern auch im Publikum. Wenn mehr nicht-männliche Acts auf der Bühne stehen, wird auch das Festival-Publikum tendenziell nicht-männlicher und das ist ehrlicherweise ein Segen, denn prollige Festival-Dudes in großen Massen sucht man beim Way Out West vergebens. Überhaupt ist die Stimmung über alle Tage hinweg eine durchweg positive und freundliche. Selbst bei großen Acts mit viel Andrang wird Rücksicht genommen aufeinander.
Bei all den Lobhudeleien fällt es schwer, etwas Negatives zu finden während dieser drei Tage Festival. Zugegeben, große Marken sind sehr präsent beim Way Out West, das Sponsoring und Branding macht abgesehen von kleinen DJ-Stages sponsored by Automarke oder Klamottenversandhändler und der kleinen Newcomer*inne-Stage, die von Schwedens Streaming-Gigant gesponsort wird, aber zumindest Halt vor der großen Bühnen. Und klar ist auch, ein Lineup gespickt mit Superstars und Acts aus aller Welt finanziert sich am Ende natürlich nicht nur über Ticketverkäufe. Die haben trotzdem viel eingebracht, das Way Out West war 2025 restlos ausverkauft. Viele werden wiederkommen, die FluxFM Musikredaktion inklusive.