Post von Stahl #9
Brief an Europas Rassistin des Monats
23.03.2021
Er schreibt sich regelmäßig den Frust, die Sorgen, seine Gedanken hier auf FluxFM von der Seele: Journalist Christian Stahl.
Dänemark will eine Migrant*innen-Obergrenze für Stadtviertel, also eine Begrenzung von Kiezbewohnern “nicht-westlicher Herkunft” auf 30 Prozent. Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist ernst gemeint. Journalist und FluxFM-Briefeschreiber Christian Stahl ist empört und findet, es ist höchste Zeit für einen Brief an Ministerpräsidentin Mette Frederiksen...
Sehr geehrte Mette Frederiksen,
wenn es den Preis „Europas Rassistin des Monats“ gäbe, Sie als dänische Regierungschefin hätten ihn verdient. Für ihre Ankündigung in dänischen Stadtvierteln eine Quote für Menschen - Achtung Zitat – „nicht-westlicher Herkunft“ einzuführen. Maximal 30 Prozent, der aus Ihrer Sicht 2.-Klasse Menschen sollen in Zukunft in dänischen Stadtvierteln leben dürfen, Zwangsumsiedlungen und sogenannte „Ausreiselager“ inklusive. Das, verehrte Frau Frederiksen, ist ebenso rassistisch wie völkerrechtswidrig, aber leider auch wahnsinnig erfolgreich. Seit Ihre Regierung rechtspopulistischer ist als die Rechtspopulisten, sind Sie beliebter denn je: und das als Sozialdemokratin, was in Europa ebenso selten wie beschämend ist. Es wäre aber viel zu einfach, mit dem moralischen Zeigefinger auf Sie zu zeigen. Denn: Dänen lügen nicht.
Fremdenhass, Geflüchteten-Bashing und Rassismus sind überall in Europa, auch bei uns, nicht nur kein Tabu mehr, sondern beliebtes Mittel zum politischen Erfolg. Ich bin mir nicht sicher, wie eine Volksbefragung ausginge, die eine Migrant*innenquote in deutschen Kiezen fordert. Ich möchte nicht wissen, was wäre, wenn sich die rechtsextreme AfD nicht selbst zerlegen, sondern mit einer Marine Le Pen an der Spitze in den Wahlkampf ziehen würde?
Und in einem Punkt haben Sie, Frau Frederiksen, auch noch Recht. Unsere sogenannter Integrationspolitik (der letzten 50 Jahre) ist komplett gescheitert, es gibt sie längst: die Parallelgesellschaften.
Ich habe zehn Jahre die Gangs von Neukölln erlebt, arabische Intensivstraftäter interviewt (und alle Berliner Knäste von innen gesehen.) Seit Anfang der Neunziger Jahre kommen beispielsweise palästinensische Flüchtlingsfamilien zu uns. Wir haben sie vom Arbeitsleben ausgeschlossen, alle sozialen Probleme und Kriegstraumata komplett ignoriert und wundern uns dann aber, wenn manche Kriminell werden? Wenn wir Migrant*innen und Geflüchtete weiter ausschließen, aussperren oder sogar zwangsumsiedeln, schaffen wir staatlich verordnete Grundlagen für Kriminalität, statt sie zu bekämpfen.
Ja, wir müssen reden, über die Gesellschaft, in der wir zusammenleben wollen. Wir müssen auch heikle Fragen stellen dürfen, zum Beispiel wie Kopftuch und Gleichberechtigung zusammenpassen und was wir mit Kindern machen, die mit 12 schon kriminell sind. Aber wir müssen endlich begreifen, dass wir Europas Integrations- und Einwanderungsprobleme nur mit Migrant*innen lösen. Und schon gar nicht durch rassistische Ghetto-Quoten wie in Dänemark.
Apropos Quote. 70 Prozent aller Straftäter in Bayern, verehrte Frau Frederiksen, sind übrigens Katholiken.
Mit bedingt freundlichen Grüßen
Ihr Christian Stahl