Frisch gepresst - mit PJ Harvey, Little Dragon und Anohni
FluxFM empfiehlt euch neue Alben
PJ Harvey - I Inside The Old Year Dying
Rezension PJ Harvey
2016 erscheint The Hope Six Demolition Project - ein politisches Album, mit dem sich die Britin mit der US-Politik und vor allem einer verfehlten Stadtpolitik auseinandersetzt. Gentrifizierung, Verdrängung, sozialer Kahlschlag. Es geht aber auch um den Kosovo, Afghanistan, um Kriegsgebiete. Sieben Jahre später verschlägt es Polly Jean musikalisch zurück in ihre Heimat
Aufgewachsen ist PJ Harvey im Süden Englands, in der Grafschaft Dorset. Dort findet sie zumindest im Geiste Zuflucht nach den Strapazen des vergangenen Albums. Im dortigen Dialekt, der auf der neuen Platte omnipräsent ist und in der Poesie. Denn eigentlich will sie erstmal keine Musik mehr machen. Sie schreibt Gedichte.
Am Ende findet die Musik dann aber doch wieder ihren Weg zu Polly Jean. Aus den Gedichten werden in Zusammenarbeit mit dem langjährigen Gefährten John Parish schnell Songs, die sich jetzt auf I Inside The Old Year Dying wiederfinden.
Viel Improvisation, minimale Instrumentierung, Field Recordings - dazu zeigt sich PJ Harvey als Sängerin von einer ganz neuen Seite. Zurückhaltend, flüsternd, mit viel Kopfstimme. Am Ende steht eine Platte, die mehr Poesie als Pop ist und mit der die Sängerin eine neue Ära einläuten könnte. Wenn sie sich nicht direkt wieder neu erfindet.
Little Dragon - Slugs Of Love
Rezension Little Dragon
Die meisten Kritiker:innen sind sich bei Little Dragon sehr schnell einig. Den Höhepunkt, den hat die Band 2011 erreicht. Da erscheint Ritual Union, das Album, auf das sich alle einigen können. Erfolgreich, mit guten Kritiken versehen, eine Platte für die Ewigkeit. Aber auch eine, an dem alle Nachfolger gemessen werden. Auch Album Nummer 7 - Slugs Of Love.
Nicht falsch verstehen - Little Dragon sind kein One-Album-Wonder - nie gewesen. Sie sind gern gesehene Feature-Gäste, Damon Albarn hat sich früh als großer Fan geoutet und die Band immer wieder zur Zusammenarbeit eingeladen. Die Nachfolger von Ritual Union waren gut. Trotzdem hatte man immer das Gefühl, das etwas gefehlt hat für den nächsten großen Wurf. Um die Sache abzukürzen: der ist jetzt da!
Die Schwed:innen sind schon immer dafür bekannt, sich nicht festzulegen auf einen Sound, aber so frisch und abwechslungsreich und gleichzeitig so on point waren sie noch nie, auch nicht bei Ritual Union. Slugs Of Love fühlt sich teilweise an wie eine dieser großen Süßigkeitenwände in einem schwedischen Supermarkt, an denen man sich frei bedienen kann und am Ende mit einer großen bunten Tüte und einem fetten Grinsen aus dem Laden geht.
R'n'B, Elektro-Pop, Wave, Funk, Soul, Disco, die Liste könnte man endlos weiterführen. Trotzdem fühlt sich Slugs Of Love wie aus einem Guss an. Little Dragon haben die Formel für die perfekte bunte Tüte gefunden.
Anohni And The Johnsons - My Back Was A Bridge For You To Cross
Rezension Anohni
Jimmy Hogarth ist ein unglaublich erfolgreicher Produzent, hat mit Amy Winehouse oder James Bay zusammengearbeitet. Verständlich also, dass die Ankündigung von Anohni Hegarty für ihr neues Album genau mit diesem Produzenten zu arbeiten für Verwunderung gesorgt hat. Und ja, die Handschrift des Soul-Fans Hogarth ist erkennbar, schon direkt im Opener von My Back Was A Bridge For You To Cross.
Doch wer jetzt glaubt, dass Anohni And The Johnsons hier alles Alte hinter sich lassen und einfach direkt zum Soul-Pop übergehen, hat sich getäuscht. An den Opener schließt ein Song an, der dystopisch-verzerrt alle Missverständnisse aus dem Weg räumt. Der Soul, er ist sowieso mehr Verneigung vor Marvin Gaye und dessen großem Polit-Album What's Going On.
Mit ihrem Solo-Debüt Hopelessness hat Anohni 2016 gemerkt, dass sie eine politische Stimme sein kann und positioniert sich jetzt mit dem neuen Album noch eindeutiger. Es geht um Trans-Rechte und immer wieder auch um den Klimawandel. Die Musik dazu ist oft reduziert, simpel gehalten, das Zugänglichste, was man von Anohni je gehört hat.
Vielleicht ist das neue Album auch eingängiger, um den Inhalten mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Nichtsdestotrotz werden auch Fans der experimentellen Anohni nicht enttäuscht. Zumal das zentrale Element weiterhin die einzigartige Stimme ist, mit der Anohni uns auch Werbejingles vorsingen könnte … an ihren Lippen würden wir trotzdem mit leuchtenden Augen hängen.
"Frisch gepresst"-Historie: