FluxFM Berliner Schnipsel
Wir holen Berlins Vergangenheit ins Hier und Jetzt.

Warum ein Mythos aus der Antike zur Inspiration für eine der berühmtesten deutschen Erfindungen wurde.
18.11.2025 Matti Geyer
Berlin um 1900: Die Stadt wächst rasant, Fabriken schießen aus dem Boden, Autos und elektrische Straßenbahnen bestimmen den Alltag – und mit ihnen auch ein völlig neues Geräuschniveau. Während noch wenige Jahrzehnte zuvor Pferdegetrappel und Marktgeschrei dominierten, wird das moderne Berlin zunehmend zum Klangteppich aus Maschinen, Motoren und Menschenmassen. Für viele Berlinerinnen und Berliner wird der Versuch, konzentriert zu arbeiten oder nachts überhaupt Schlaf zu finden, zur echten Herausforderung.
Mitten in diesem Lärmchaos betreibt der Apotheker Maximilian Negwer in Berlin-Schöneberg eine kleine Offizin – und liebt es, neue Heilmittel und Hilfen des Alltags zu erfinden. Ihm fällt auf, dass viele Menschen Watteballen um den Kopf wickeln oder sich sogar kleine Metallkugeln in die Ohren stecken, um dem Lärm zu entkommen. Negwer ist überzeugt: Das muss besser gehen.
Die zündende Idee findet er in der antiken Mythologie. Er erinnert sich an die Sage des Odysseus, der seinen Männern vor der Insel der Sirenen Wachs in die Ohren stopfte, um sie vor dem verführerischen, aber gefährlichen Gesang zu schützen. Inspiriert davon beginnt Negwer selbst zu experimentieren.
Zunächst versucht er es mit Bienenwachs – doch das wird schnell ranzig, bricht auseinander und reizt die Haut. Also probiert der Schöneberger weiter, tüftelt, mischt, verwirft. Erst nach Jahren findet er die perfekte Kombination: Baumwollwatte, getränkt in Vaseline und Paraffinwachs. Sie ist hygienisch, weich, formbar und angenehm zu tragen.
Er gibt seinem Produkt einen Namen, der Programm ist: Ohropax – ein Wortspiel aus Ohr und dem lateinischen pax, dem „Frieden“. Friedliche Ohren, Ruhe für den Alltag, Erholung trotz Großstadtlärm.
Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Negwer gibt schließlich seine Apotheke auf, gründet eine eigene Fabrik und beginnt die Produktion im großen Stil. Den endgültigen Durchbruch erlebt Ohropax während des Ersten Weltkriegs, als Soldaten in den Schützengräben empfohlen wird, die Ohrstöpsel zu tragen.
Bis heute ist die Marke ein Synonym für Ruhe. Obwohl das Unternehmen nach der deutschen Teilung nach Hessen umzog, wird es weiterhin in Familienhand geführt: Der Enkel von Maximilian Negwer leitet Ohropax bis heute.
Und so lebt eine echte Berliner Erfindung weiter – in Nachtschubladen, Reisetaschen, Großraumbüros, Proberäumen, Flugzeugen und überall dort, wo Ruhe Gold wert ist.